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Peter Hollo: Kennen Sie Faith Popcorn?

1991 haben wir ihn verschlungen - den Popcorn Report. Was ein wenig so klingt wie die Mischung aus einer berühmt berüchtigte Serie von seichten Kinofilmchen und einer ehemals schwer angesagten Jugendzeitschrift, war für uns aufstrebende Marketingleute geradezu eine Offenbarung. Der Frau mit dem lustigen Namen, dem stechenden Blick und dem messerscharfen Verstand gelang damals etwas, was nur wenigen vergönnt ist. Eine punktgenaue Voraussage des Verbraucherverhaltens für die nächsten Jahrzehnte. Der von Ihr bereits schon 1981 geprägte Begriff "Cocooning" oder der "wehrhafte Verbraucher", heute so aktuell wie nie zuvor.

 

Cocooning, also die Tendenz sich vermehrt aus der Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen, ist für mich der Metatrend, dem sich eine Vielzahl von wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen die letzten Jahrzehnte untergeordnet haben. Und zwar in einem sich immer gegenseitig befeuernden Regelkreislauf, quasi einem Perpetuum Mobile. Das Internet, sowohl Ausdruck des Wunsches der Menschen nach Cocooning, als auch dessen massivster Beschleuniger. Wir haben uns zurückgezogen in unsere kleine Welt und lassen eine zunehmend als feindselig und nicht durchschaubar wahrgenommene Außenwelt draußen vor der Tür. Herein lassen wir sie nur noch durch immer enger werdende selbst gesteuerte Schleusen. Wir gehen nicht mehr einkaufen, wir lassen uns Waren ins Haus schicken. Soziale Interaktion findet nicht mehr bei Freunden oder im öffentlichen Raum statt, sondern in sozialen Netzwerken oder beim Online Gaming. Branchen wie Heimausstattung verzeichnen gerade Rekordumsätze und wenn wir verreisen, dann nehmen wir spätestens seit 2020 unseren Cocoon mit. Unsere eigene sichere heile Welt, als Wohnanhänger and der Anhängerkupplung unseres SUVs. Eines Fahrzeugs, das so für Cocooning steht, wie kein anderes. In erhöhter Position sitzen wir in unseren Straßenpanzern und blicken durch die möglichst niedrigen Scheiben hinaus in eine feindselige Umwelt.

 

Dabei ist Covid zwar ein Treiber, aber dieser Treiber fällt auf fruchtbaren Boden. Covid erzeugt keine Entwicklungen, sondern beschleunigt nur, was schon längst irgendwo im Untergrund herangewachsen ist. Mehr ein warmer Regen als der Gärtner selbst. Wohl dem, der jetzt die richtigen Antworten, Produkte und Services dafür hat. Und die Spielware und das Gaming haben sie. Eindeutige Gewinner des Cocoonings in schwierigen Zeiten

 

Deutschland und viele weitere westliche Gesellschaften haben es sich zuhause gemütlich gemacht. In Zeiten des New Biedermeier kommen allerdings auch all die "alten Werte" bürgerlicher Wohlanständigkeit wieder zurück. Engstirnigkeit, Kleingeistigkeit, Bigotterie und die Durchsetzung des einen wahren Weltbilds - nämlich des eigenen - feiern fröhliche Urständ. Aus den USA übernehmen wir begierig jeden Trend, den uns die Puritaner vorgeben - in spießbürgerlich vorauseilendem Gehorsam. Wenn ich mir Filme und Zeitschriften aus den 1970ern und 80ern anschaue, dann denke ich mir immer wieder "Mann, waren die befreit ...und wie verkniffen spießig sind wir heute". Moral- und Sittenwächter an allen Ecken und Enden geben heute vor, was gedacht und gesagt werden darf. Verstöße werden unbarmherzig geahndet. So manche Demonstration, so manche Partei und so manche NGO lässt sich damit prima erklären.

 

So geht Cocooning, neben all dem kuschelig plüschigen, auch einher mit einem Verlust an Weltoffenheit und dem Verlust eines geweiteten Blicks über den eigenen Cocoon hinaus. Da wird der Cocoon schnell zum (Gedanken-)Gefängnis ...und die Wärter sind wir selber.

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