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Peter Hollo: Das nächste große Ding

Das derzeitige große Ding - und ich denke, da sind wir uns einig - das ist Cocooning. In der Krise haben wir uns, nicht nur durch die äußeren Umstände bestimmt, ins häusliche zurückgezogen. In unsere eigene kleine heile Welt. Und nicht nur das. Die Deutschen und viele andere westliche Gesellschaften auch haben es sich im Neo-Biedermeier gemütlich gemacht. Wenn wir schon die äußeren Umstände nicht kontrollieren können, dann unser kleines häusliches Umfeld. Industrien, die sich befleißigen diesen Trend zu bedienen erfreuen sich derzeit grandioser Umsätze. Spielwaren, Home & Living, Wohnmobile, DIY - hier läuft´s. Versuchen Sie jetzt gerade mal ne Sauna zu kaufen, viel Spaß!

 

Man könnte darüber schmunzeln, über soviel bürgerliche Idylle, gäbe es da nicht noch einen weiteren Trend, der sich unter dem Deckmäntelchen der Gerechtigkeit und der Wohlanständigkeit bei uns eingeschlichen hat. Der Neo-Puritanismus hat inzwischen alle Teile unseres Lebens erfasst. Haben Generationen vor uns noch darum gekämpft, gerade die Jugend, alles sagen und alles zeigen zu dürfen, kämpft man jetzt dafür nur noch das "richtige" oder das "erlaubte" zu sagen und zu zeigen. Was wohlmeinend begann - mir gehen die Akrobaten vom rechten und linken Rand, die Chauvinisten und die Klimaleugner auch auf den Wecker - und sicher ohne jede Arglist, das treibt inzwischen skurrile Blüten und hat eine Generation von selbst ermächtigten Hexenjäger*innen hervorgebracht, gegen die man kaum noch gewinnen kann. Alles im Dienste des Guten. Wer in solch einen öffentlichen, von medialem Voyeurismus geprägten, Hexenprozess gerät kann nicht gewinnen. Schwimmt man oben, dann ist man eine Hexe und wird mit Genuss medial verbrannt. Geht man unter, dann ist man auch tot. Ein weiterer Grund warum wir uns alle immer weiter ins Häusliche oder in kleine Kreise zurückziehen. Warum wir vieles plötzlich hinter vorgehaltener Hand austauschen, warum wir unsere Statements immer mehr verklausulieren und bis zur Unkenntlichkeit zurechtbiegen. Enfants Terribles vom Schlage eines Klaus Kinski, die hätten es heute schwer.

 

Die Frage ist nun, wohin geht es als nächstes? Die Metatrends Neo-Biedermeier und Neo-Puritanismus werden uns noch einige Jahre begleiten. Solange bis uns neue junge Wilde endlich davon befreien. Eine junge Generation, die zwar das Richtige tut (und da gibt es derzeit einiges), aber dennoch Tabus durchbricht und in einem revolutionären Akt ihre Elterngeneration, die heutige Gen Z und Gen Alpha, entthront. Eine Generation von unangepassten Abenteurer*innen, die mutig ins allgemeine Lebensrisiko geht. Eine Generation, die weniger moralinsauer belehrt, von ständiger Angst getrieben etwas falsch zu machen, sondern einfach macht. Kontrovers und wirklich disruptiv, statt mainstreamig angepasst.

 

Wie gesagt, was ist das nächste große Ding? Nach dem Zweiten Weltkrieg, da schauten die Deutschen lieber der Försterchristel zu oder lauschten der Schwarzwaldmelodie. Viel lieber als sich Bilder ihrer zerbombten Städte anzuschauen. Der deutsche Heimatfilm ist ohne das Grauen der Vorjahre nicht zu erklären. Was wäre, und ich weiß, der Vergleich hinkt ein wenig, wenn auch unsere Gesellschaft nach der Zäsur der Pandemie nun auch Sehnsucht hätte nach heiler Welt? Was wäre, wenn sich das Konsumentenverhalten durch Covid vollkommen verändern würde? Wenn wir nach der für viele existenziellen Corona-Krise, in der wir soviel Verlust von eigener Wirkmacht, persönliches Leid und das Gespenst des finanziellen Ruins gesehen haben, keine Lust mehr hätten auf alte Präferenzen? 

 

Der übliche Plot eines Hollywood-Blockbusters war doch: Psychotischer (Anti-)Held - oder eine Gruppe - setzt mit menschenverachtender Gewalt, mit Folter und mit schwerer Artillerie einen ebenso psychotischen Feind oder eine Gruppe von außen (im amerikanischen Original sehr gerne mit arabischer oder deutscher Sprachfärbung) mit einem möglichst großen Feuerwerk außer Gefecht. Der feministische Beitrag dazu, spätestens seit Lara Croft, eine ebenso psychotische (Anti-)Heldin, die bei Licht betrachtet nichts anderes ist als ein Mann mit für Männer ansprechenden optischen weiblichen Attributen. Sex sells violence!

 

Was wenn wir einfach keinen Bock mehr haben? Wenn wir nach all den negativen persönlichen Erfahrungen all diese Gewalt und all diese negativen Gefühle nicht mehr sehen wollen? Wenn wir unser Happy-Place suchen, mit positiven Bildern und Zuckerguss. Was passiert dann beispielsweise mit dem gesamten Superheldengenre?

 

Alles gar nicht so weit hergeholt. Erste Ansätze für diesen Trend lassen sich bereits erspüren. Und damit wir uns nicht missverstehen, ich möchte um Himmels willen nicht den Heimatfilm zurück! Aber das nächste große Ding, das könnte weich sein und kuschelig und schmecken wie warme Hühnersuppe. Denn den Geruch von Schweiß, Blut, Schießpulver und Waffenöl, den hatten wir jetzt im Überfluss.

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