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Anke Loose: "Ich backe mir einen Helden!" - Die Kraft starker Figuren

Katapultieren wir uns zurück in die eigene Kindheit, sind sie sofort wieder lebendig. Denn starke Figuren, die bleiben für immer. Weil wir mit ihnen gewachsen sind. Wir haben ihnen nachgeeifert und mit ihnen die Welt entdeckt. Mit unseren Helden haben wir uns in andere Sphären geträumt und gelernt, dass (fast) alles möglich ist, wenn man es denn wirklich will. Die eine-Million-Dollar-Frage ist also: Was macht eine starke und gute Figur für Kinder heute aus?

 

Das „Figurenbacken“ beginnt mit einer Idee oder einer Zielsetzung für ein Konzept. Mal existiert zuerst die Idee für eine Figur oder ein Figurenensemble, um die sich eine oder auch mehrere Geschichten entspinnen. Mal beginnt es auch mit einer Geschichte im Kopf, aus der die neuen Figuren erwachsen. Doch ebenso spannend am Entwickeln neuer Figuren ist neben der inhaltlichen Ausrichtung auch deren künstlerische Darstellung, das Charakterdesign. Passende Illustrator*In für die Entwicklung einer Figur zu suchen ist wie Casting. Wie beim Film, quasi Hollywood.

 

„Ich kann die Figuren doch erst richtig mit Leben füllen, wenn ich weiß, wer die Rollen spielt.“ hat mir ein Filmemacher mal gesagt, als wir über die Besetzung einer seiner Hauptfigur sprachen. Na klar! Richtig loslegen kann man erst, wenn geklärt ist, wie die Figur aussehen wird und wer diese Figur ist. Dies ist die Initialzündung für alles was danach kommt. 

 

Lassen Sie mich einige der Zutaten zusammentragen. Die Erschaffung einer Figur beginnt mit ihrer Biografie. Meist noch ohne eine fertige Geschichte. Sind die Gedanken, Gefühle, Fähigkeiten, Erwartungen und Ziele einer Figur klar umrissen, ist es hilfreich, diese eine Weile mit sich herum zu tragen und Fragen zu stellen.

  • Inspiriert die Figur zu guten Ideen?
  • Spricht sie die Zielgruppe an?
  • Ist sie lebendig?

Wenn dem so ist, beginnt sie plötzlich zu laufen. Figuren müssen phantasievoll und lebendig agieren, glaubhaft sein, damit sie zum Freund oder Vorbild werden können. Stichwort Vorbild. Haltung zeigen, eine Botschaft haben – das wird heute beim Figurenentwickeln immer wichtiger. Dabei wünschen wir uns aber auch ambivalente Figuren. Nicht nur gut, nicht nur böse. Denn Figuren können so viel transportieren: Emotionen auslösen, eine Mission haben, Werte vermitteln,

einen persönlichen Bezug schaffen, Konflikte aufzeigen oder Klarheit schaffen. Doch reicht das schon aus? Im echten Leben brauchen wir gerade mal Sekundenbruchteile, um uns ein Bild von anderen Menschen zu machen. Beim ersten Kontakt verlassen wir uns ganz auf unsere Intuition: Schnell ist uns klar, ob wir unser Gegenüber mögen oder nicht, ob wir ihn oder sie für einen Schwächling halten oder einen richtig tollen Menschen.

 

Begegnet uns eine neue Figur, ist es nicht anders: Der erste Eindruck entscheidet. Finden wir sie langweilig, wenden wir uns ab. Wenn nicht, beschäftigen wir uns weiter mit ihr. Entscheidend ist also der erste Auftritt. 

 

Sobald sich ein Illustrator*In mit der inhaltlichen Ausrichtung der Figur beschäftigt, entstehen die ersten Figuren-Skizzen. Wenn uns die Figur optisch erobert, wird sie auch verstanden. Das ist wie Liebe auf den ersten Blick. Doch nicht allein das Aussehen einer Figur, besonders ihr Handeln, Ihre Mission sind der Treibstoff, den ein gut geölter Geschichtenmotor braucht. Unbedingt sollten Figuren eine Relevanz haben. Und natürlich müssen sie einzigartig sein. Mit starken Figuren erleben Kinder Abenteuer, die über ihren kindlichen Alltag hinausgehen. Jedes Kind braucht einen guten Freund an der Seite, der ihre größten und heimlichsten Wünsche erfüllen kann. Einen, der sie versteht, mit ihnen lacht, weint, fühlt und wächst.

 

„Hallo, woher kommst du denn?“

Um einen großen Spielraum für Phantasie und Träume zu eröffnen, müssen wir auch erfahren, woher Figuren kommen und in welchem Umfeld sie sich bewegen. Je facettenreicher, detaillierter das Setting desto glaubwürdiger und interessanter wirken sie. Und so leben die Figuren in den unterschiedlichsten Welten: etwa auf einer winzigen Insel mit moosweichen Grashügel-Höhlen oder einem klebrig-knallbunten Kaugummi-Planeten, mal auf einer Eisscholle, die niemals  schmilzt, einem einsamen Hausboot mit Satelliten-Empfang, einer geheimnisvollen Hütte im Wald, zu der nur Kinder finden oder in einem klapprigen Blechdosen-Raumschiff mit einem formidablen Brausepulver-Antrieb.

 

Ponyhof und (T)Raumstation

Thematisch orientieren sich beliebte Kinderfiguren an den Bedürfnissen der Zielgruppe: Für kleinere Kinder sind Alltagserfahrungen, Ängste oder die Familie wichtige Themen, bei größeren Kindern sind Freundschaften, Abenteuer und Schule von Bedeutung. Kinder lassen sich gern in unbekannte fiktive Welten entführen. Deshalb haben neben Alltagsthemen die phantasievollen und besonderen Figuren eine hohe Relevanz: sprechende Tiere, Phantasiewesen, beseelte

Gegenstände, Figuren mit übernatürlichen Fähigkeiten. Je skurriler, witziger und überraschender, desto besser. Eine Figur ist gelungen, wenn nachhaltiges Interesse und Sympatien geweckt werden.

 

Doch bei aller Theorie und dem Wissen um die Zutaten wird keine einzige Figur zum Leben erwachen, wenn ihr nicht eine riesengroße Portion HERZ mitgegeben wird. Kinder suchen sich Figuren, in denen sie sich wiedererkennen, die ihnen helfen, über sich hinauszuwachsen. Das, was ihr Alltag nicht oder nur in Grenzen zulässt, was man sich selbst nicht traut und wie man sein möchte, suchen sie in ihnen. Am Ende bleibt es dennoch ein ganz subjektives Gefühl, welche

Figuren zum kindlichen Helden avancieren. In ihrer Rolle als Begleiter, als Identifikationsfigur und als Orientierungspunkt. Haben die Kinder das in einer Figur gefunden, verkünden sie es unüberhörbar:

 

„Ist der/die aber toll!“

„So will ich auch sein.“

„Das erzähl‘ ich weiter.“

 

Und dann sind wir der eine-Million-Dollar-Frage zum Thema Figurenentwicklung ein ganzes Stück näher gekommen.

 

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