Anke Loose: Zwischen zwei Buchdeckeln liegt die ganze Welt.

Warum das Lesen von Büchern die Welt zu einem besseren Ort machen kann.

Kinder, die mit Büchern und Geschichten aufwachsen, denen von klein auf viel vorgelesen wurde, haben einen klaren Vorteil: denn wer mit Spaß schon früh die spannende Welt der Geschichten entdeckt, wird meist viel leichter Zugang zum Lesen finden.

 

In meiner Welt gab es immer schon reichlich Bücher. Vor allem die beim Großvater. Anfangs übten sie wegen ihres besonderen Duftes eine Faszination aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Vor allem die in Leder gebundenen Exemplare mit fein gezeichneten Grafiken. Oder die altdeutschen Schriftzeichen auf den vergilbten Buchseiten, die aussahen wie zierliche Ornamente. Die hatten es mir angetan. Lesen konnte ich natürlich noch nichts. Aber ich wollte dieses Geheimnis so schnell wie möglich lüften, und so begann ich sehr früh mit dem Lesen lernen. Der Großvater war weise, nicht nur wegen seiner vielen Bücher. 

„Wer früh liest, wird später schlau!“ hat er immer gesagt – und recht hatte er!  Dem ist nichts hinzu zu setzen. 

 

Kinder sind Weltentdecker

Es ist schon sehr viel dazu geschrieben worden. Reicht aber längst noch nicht. Darum werde ich eine weitere Lanze brechen – und zwar für das LESEN und das VORlesen.  Nicht wegen dem Großvater oder der Pisa-Studie, nicht wegen digitaler Medien oder der mangelnden Lesekompetenz an unseren Schulen, auch nicht wegen Corona, nein, sondern vielmehr wegen der unendlich vielen guten Geschichten, die darauf warten vorgelesen oder gelesen zu werden, damit der Phantasie Flügel wachsen, damit die Kindheitshelden gefunden werden - und wegen der Bilder und dem herrlichen Blubbern im Kopf.

 

Es beginnt bereits zu blubbern, wenn wir in der Kindheit eine erste Geschichte oder ein erstes Gedicht vorgelesen bekommen. Erinnert ihr euch?  Mein allererstes Buch war ein schmales schwedisches Bilderbuch. Das hieß „Die neue Straße“ - und es war der Knaller. Ich bekam es wieder und wieder vorgelesen. Noch heute bewohnt das völlig zerlesene Schokoladenflecke zierende Exemplar mein Bücherregal links außen, gleich neben den Klassikern. Immer griffbereit. 

 

Und die Zeile, welche sich seit damals in meinem Kopf festgesetzt hat, ist diese hier:

 

„…und der Baggerfahrer Horst

           schenkt ihr sein Brot mit Leberworst.“

 

Mit „O“. Das war wichtig, wegen dem Giggelalarm! Damals war ich vier. Und der Baggerfahrer Horst war mein erster ganz persönlicher Held. Der arbeitet den ganzen Tag in der Knallsonne, damit die neue Straße schnell fertig wird, und dann verschenkt er auch noch sein Butterbrot. Herrlich! Allerdings höre ich noch heute seinen leeren Magen grummeln. Na, wenigstens hatte er noch seine Thermoskanne voll mit duftendem Kaffee. Warum sich ausgerechnet diese zwei Zeilen festgesetzt haben, kann ich nur vermuten: denn auch vor meiner Nase wurde damals gerade eine neue Straße gebaut. Die Leberwurststulle ist bis heute mein Inbegriff von Bauarbeiter-Lieblingsessen und von Gemütlichkeit beim Picknicken. Aber darum geht’s hier heute gar nicht. 

 

Gute Geschichten, die Kraft und der Rhythmus der Worte, gelesen, geschrieben oder gesprochen sind die Grundlage für Bildung, gesellschaftliche Teilhabe und unsere Eintrittskarte ins wirkliche Leben. 

 

Die Reise nach Innen

Wie gutes Training unsere Muskeln wachsen lässt, bildet das Lesen den Geist aus. Gehirntraining sozusagen. Lesen erzeugt in uns individuelle innere Bilder, es fördert die Fantasie und schult unsere Vorstellungskraft. Beim Lesen werden eine Vielfalt von Gedanken und Gefühlen ausgelöst. Positive und negative. Lustige, traurige, spannende, beängstigende oder Mut machende. Mit jedem neuen Protagonisten, der zwischen zwei Buchdeckeln erscheint, krabbeln wir in dessen Kopf und beziehen Position. Lesen macht uns emphatisch, steigert die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzudenken. Beim Lesen wird der Blick weit. 

Klar, dass es schon einer gewissen Kreativität bedarf, gelesene oder gehörte Sätze im Kopf in Bilder umzuwandeln. Aber je öfter wir lesen, desto mehr wird sie angeregt. Und weil das Vorlesen und das Lesen neben diesem Kreativitätsschub auch unseren Wortschatz und die Sprachkenntnisse erweitert, plappern die Kinder wesentlich munterer drauf los und nehmen ihre Welt darüber hinaus reflektierter wahr. 

 

Vorlesen, vorlesen, vorlesen! 

Rund 30 Prozent aller Kinder wird in den ersten Lebensjahren nie oder nur sehr selten etwas vorgelesen. Dabei lieben es die Kinder. Vorlesen ist Gemeinsamkeit und wichtige Kommunikation. Das Vorlesen als ein festes Ritual in den Alltag einzubauen schafft sehr früh eine

 

gesunde Beziehung zu Büchern und Texten. Und weil nicht jeder ein virtuoser Vorleser oder fantasievoller Geschichtenerzähler ist und auch nicht jeder dazu immer ausreichend Zeit und Kraft hat, kann man ruhig mal zu Hörbüchern oder Hörspielen greifen. Trotzdem ist das kein gleichwertiger Ersatz. Vorlesen steigert die Konzentrationsfähigkeit und nimmt Einfluss auf das Einfühlungsvermögen. Die Bilder im Kopf, welche beim Vorlesen entstehen, verbinden Kinder mit den Wörtern viel mehr, als wenn sie eine Geschichte sehen. Kinder, mit denen man liest, haben deutlich mehr Fantasie und können Gefühle besser ausdrücken, weil sie mit ihren Helden mitfiebern. 

 

Für die Kommunikation in der Familie ist Vorlesen oft Anlass für Gespräche zwischen Eltern und Kindern. Dabei entsteht eine Atmosphäre von Vertrauen und Geborgenheit, von denen Kinder nachhaltig geprägt werden. Da Kinder sehr gern selbst an den Geschichten teilhaben, verarbeiten sie diese nicht selten im Spiel, indem sie nacherzählen, nachspielen, basteln oder Bilder davon malen. 

 

„Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen hat mich seinerzeit so beeindruckt, dass ich es später ganze 34mal in der Stadtbücherei ausgeliehen habe. Mein Kinderzimmer habe ich für Wochen in einen Ozean verwandelt, und zum Fasching musste es ein Hauch aus einem grünblautürkis schimmernden Tüllkleid mit Fischschwanz sein.  Die Mehrjungfrau hallte noch einige Jahre später nach: ein erstes Geschichten-Kunstwerk, eine von mir gezeichnete Meerjung- frauen-Szene, prangt heute noch im Gästezimmer meiner Mutter. 

Ich wiederhole mich vielleicht, aber: LEST EUREN KINDERN VOR, damit sie erfahren, wie herrlich Bücher sind, wie sehr es sich lohnt, diese Fähigkeit zu erlernen. Denn mit einem Mal können sie mit einem Schiff durch die Südsee reisen, raketenschnell ins All fliegen und mit Hilfe eines geheimnisvollen Amulettes in abenteuerliche Fabelwelten eintauchen. 

 

WAS ihr lest, ist euer Ding! 

Fabelwesen, Superhelden, Detektive. Wichtig ist nicht, was gelesen wird, sondern, dass Kinder überhaupt lesen. Geht also auf die Interessen der Kinder ein.  Manche Kinder lieben es Comics zu schmökern, oder Magazine, als dicke Bücher mit viel Text - das Angebot ist vielfältig. 

 

Stecken die Kinder gerade in einer dieser Rosaglitzerprinzessinnenpferdemädchenundponys – Phase oder können sie von vorlauten Superhelden oder irrwitzigen Gnomen nicht genug bekommen, lasst sie ruhig die ganze Palette dieser Bücher durchlesen, solange sie altersgerecht sind und die Kinder thematisch nicht überfordern. Oft wählen Kinder auch Bücher mit bestimmten Themen aus, die für sie momentan von Interesse sind. Sie durchdenken und reflektieren damit den Alltag oder aktuelle Probleme und arbeiten sie auf diese Weise auf. 

 

Übrigens: Man muss nicht all die Bücher, mit Ausnahme der Lieblingsbücher, besitzen, die es wert sind vorgelesen oder gelesen zu werden. 

 

Die Auswahl und die Dosis macht‘s

Sachbezogene Studien belegen es: Lesen ist zeitgemäßer denn je. Ihre Freizeit verbringen Kinder heute on-und offline. Sie sind auf beinahe allen Kanälen unterwegs. Nicht wenige Kinder schaffen eine gute Balance zwischen analoger und digitaler Beschäftigung, indem sie versuchen sich beide Welten offen zu halten. Aber auch ein nutzbringender Umgang mit den elektronischen Medien setzt eine gut ausgebildete Lesekompetenz voraus - sei es beim Surfen im Internet oder beim Lesen der Bedienungsanleitung für das neue Smartphone. 

 

Und wer einen kleinen Lesemuffel zuhause hat, so kann auch dem geholfen werden: Zu vielen Filmen oder Fernsehserien gibt es entsprechende Bücher oder Magazine. Wenn Kinder eine Lieblingssendung im Fernsehen haben, kann man ihnen einfach das Buch dazu anbieten. Nicht wenige Kinder sind seit den Harry Potter - Filmen zu wahren Leseratten geworden.  

 

Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, sind oft weit vorn in ihrer emotionalen Persönlichkeitsentwicklung und entfalten in besonderem Maße soziale Kompetenzen wie Empathie, Verantwortungsgefühl und Gerechtigkeitssinn. Dafür brauchen wir Kinderhelden in klugen und witzigen, ernsthaften und relevanten Geschichten, um über die großen und kleinen Themen des Lebens reden zu können: über Freude und Sorgen, Hoffnung, Respekt und Toleranz, über Neugier und Verständnis allem Fremden und Neuen gegenüber. 

 

Geschichten verzaubern und verändern, sie regen die Fantasie und die Kreativität an und ermöglichen uns, andere Welten und Lebensbedingungen zu erfahren - und somit auch zu verstehen. Zwar interessieren sich Kinder vorrangig für kratzbürstige Piraten, schnelle Autos oder wispernde Feen und Prinzessinnen, sind aber genauso offen für Themen mit gesellschaftlicher Relevanz wie Natur, Umwelt und dem Zeitgeschehen. Denn lernen, sich seine Meinung zu bilden ist heute relevanter denn je. 

 

„Lesende Leute sind in vielerlei Hinsicht schlauer als der Rest vons Janze. Weil sie in der Lage sind zu reflektieren, einzuordnen, abzuwägen, einzuschätzen. Punkt.“ sagte der Großvater noch. Es sind die guten Geschichten, die uns Orientierung für das ganze Leben geben.  Also, her damit, ich wär dann so weit. 

 

LESEN – eine wertvolle Linksammlung:

 

Bundesweiter Vorlesetag 

Welttag des Buches 

Kampagnen zur Leseförderung 

Büchertürme 

Lesestart 

AKJ  

Leseförderung

Internationales

 

Darüber hinaus sorgen die hier ungenannten regionalen und überregionalen Lesefestivals, die Buchläden, Bibliotheken und Bücherhallen dafür, dass uns niemals der Lesestoff ausgehen wird. 

 

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